Erlebnisbericht: Marathon des Sables 2013

Inzwischen sind zwei Wochen vergangen, seit meinem Zieleinlauf beim 28. Marathon des Sables (MdS). Das ist die Zeit, in der die Blasen an den Füßen fast verheilt sind und sich die ersten Zehennägel lösen. Beim MdS handelt es sich um den berühmt berüchtigten Wüstenlauf durch die Marokkanische Sahara, der von sich selber behauptet, eines der härtesten Etappen-Rennen der Welt zu sein. Wahrscheinlich nehmen viele Ultralauf-Veranstaltungen dieses Attribut für sich in Anspruch, aber der MdS mit seinen 240km und Temperaturen mit teilweise über 50°C gehört sicherlich dazu.

Obwohl unser Gehirn die Fähigkeit hat, durchlebte Anstrengungen uns Schmerzen mit der Zeit verblassen zu lassen, sind mir dennoch die Augenblicke unmittelbar nach dem Zieleinlauf am intensivsten in Erinnerung geblieben. Und das sind keine schönen Erinnerungen: Ich liege völlig ausgelaugt im Schatten des ersten Verpflegungszeltes, gleich hinter der Ziellinie. Hier bekommt man heißen Tee. Obwohl ich ziemlich dehydriert bin, habe ich noch keine Kraft, mich zu bedienen. Die Finisher-Medaille, die ich vor wenigen Augenblicken von Patrick Bauer, dem Veranstalter und „King-of-MdS“, überreicht bekommen habe, liegt irgendwo neben mir. Ich kann mich noch überhaupt nicht darüber freuen, dass die Tortur endlich vorbei ist – zu sehr stehe ich noch im Eindruck der letzten halben Stunde bzw. der letzten paar Kilometer des Rennens. Allein der Gedanke daran lässt mich noch erschaudern. Diese Eindrücke gehören wahrscheinlich zu den schlimmsten in meinem bisherigen Läufer-Lebens. Energetisch völlig am Ende, dehydriert und stark überhitzt, mit stechenden Schmerzen im hinteren Oberschenkel (Muskelverletzung aus der langen Etappe), kann ich nur sehr schwer einschätzen, wie weit ich vom Kollabieren noch entfernt bin. Obwohl das finale Biwak von der letzten Anhöhe aus schon seit ca. einer halben Stunde zu sehen war, habe ich das Gefühl, es dennoch nicht mehr erreichen zu können. Alles in mir sperrt sich gegen das Weiterlaufen. Aber das Gehen ist noch viel schlimmer: genauso schmerzhaft und anstrengend, dazu geht aber jetzt gar nichts mehr weiter. Am liebsten würde ich den Rucksack wegschmeißen und mich irgendwo einfach hinlegen. Aber es gibt nirgends einen Schatten. Somit ist das nicht wirklich eine Option und man ist dazu verdammt, sich einfach weiter zu quälen. Und dann – irgendwann – taucht die Ziellinie endlich wirklich vor mir auf. Die letzten 200 Meter kann ich wieder laufen, bin mir aber immer noch nicht sicher, ob ich das auch wirklich durchhalten kann. Und dann bin ich im Ziel! Ich bin aber viel zu erschöpft, sodass mein Körper kein Gefühl der Erleichterung oder gar der Freude aufkommen lässt.

Aber das ist, wie gesagt, jetzt bereits 14 Tage her. Inzwischen überwiegt – Gott sei Dank – ein positiver Gesamteindruck. Auch die (wahrscheinlich) ganz normalen Prophezeiungen, nie wieder an einem Ultralauf teilzunehmen und überhaupt den Langstreckenlaufsport an den Nagel zu hängen, sind mehr oder weniger vergessen.

Chronologie des MdS-Projekts:
Im August 2012 traf ich beim Karwendellauf Bernhard Pleßberger, der, nachdem er 2012 bereits zum ersten Mal am MdS teilgenommen hatte, auf der Suche nach Mitglieder für das Team Austria war, welches beim MdS 2013 in der Teamwertung starten sollte. Ich hatte vor vier Jahren erstmals MdS Erfahrungen sammeln dürfen (ich konnte damals als 122. das Rennen beenden). Es war damals zwar eine extrem wertvolle Lebenserfahrung. Allerdings hatte ich auch den Entschluss gefasst: einmal und nie wieder. Zu sehr habe ich seit damals Laufen in der Wüste mit Schmerzen (wegen der Blasen) an den Füßen assoziiert. Allerdings bemerkte ich schon wieder ein Krippeln im Bauch und spürte das aufsteigende Feuer der Begeisterung, es doch noch einmal zu versuchen. Nachdem ich mir noch das OK von Sonja, meiner Frau, eingeholt hatte, sagte ich daher zu. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Team Austria aus 5 Mitgliedern: Bernhard Pleßberger aus Wien (27), Herbert Lehner aus Grießkirchen, OÖ (44), Josef Schmied aus Tirol (53), Willi Schneeberger aus Kärnten (50) und mir (45), Wels, OÖ. Auf der Suche nach einem Prominenten, der uns evtl. bei der lokalen Presse unterstützen konnte, fiel uns gleich der Name Wolfgang Fasching (http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Fasching) ein. Wir nahmen kurzerhand Kontakt mit ihm auf – und seine Reaktion war die eines Spitzensportlers durchaus würdig: Wenn schon, dann wolle er gleich selber mitlaufen. Das Projekt umfasst die Komponenten Ausdauer, Abenteuer und mentale Stärke. Obwohl er kein Läufer ist (die längste Trainingseinheit sollte ein 2h10min langer Lauf bleiben) nahm er die Herausforderung an, und auch das Risiko, wenig gewinnen aber viel verlieren zu können.

Bis zum Start der ersten MdS-Etappe am 7. April 2013 blieb das Team Austria leider auch nicht vom Verletzungspech verschont. Bei Josef machte sich Anfang Jänner eine Meniskusverletzung im linken Knie bemerkbar und Bernhard traf es noch schlimmer: wenige Wochen vor der Abreise – nach fast einem Jahr beinharter Vorbereitung – wurde bei ihm ein Ermüdungsbruch im Unterschenkel diagnostiziert. Aus der Traum, ein Start war unmöglich. Bernhard ist zur Zeit dabei, aus dieser, für ihn extremen Enttäuschung die richtigen Schlussfolgerungen und Lehren zu ziehen. Ich bin mir sicher, dass er gestärkt aus dieser persönlichen Krise herauskommen wird.

Bei mir lief die Vorbereitung relativ unproblematisch und vor allem verletzungsfrei ab.

Der MdS ist ein Wüstenlauf, bestehend aus 6 Etappen, die an 7 Tagen zu absolvieren sind. Dabei muss eine Distanz von ca. 240 km zurückgelegt werden. Während des Rennens müssen die Teilnehmer die gesamte Ausrüstung (vom Schlafsack über Kocher, Schlangenbiss-Set und Leuchtrakete) und die Verpflegung (Essen für die ganze Woche) im Rucksack mit sich tragen. Am Start beträgt das Gewicht ca. 10 kg. Dazu kommen dann 1,5 - 3 l Wasser, welches man jeweils am Etappenstart und an allen Checkpoints bekommt. Das Wasser ist das einzige, was der Veranstalter, und das auch streng limitiert, zur Verfügung stellt. Übernachtet wird in Biwaks, bestehend aus Berberzelten. Ein Zelt teilen sich 7 – 8 Teilnehmer, die auch bis zum Schluss eine feste „Zelteinheit“ bilden.

Der Wüsten-Untergrund ist sehr unterschiedlich und reicht von Sanddünen bis zu ziemlich steile Berganstiege. Durch die heißen Temperaturen schwellen üblicherweise die Füße an, sodass die Laufschuhe ca. 1,5 bis 2 Schuhnummern größer als normal gewählt werden müssen. Die Ursache für das Anschwellen ist die vermehrte Lymphflüssigkeit. Wasser in den Füssen führt beim Laufen aber unweigerlich zu Blasenbildung. Je nachdem, an welchen Stellen diese Blasen auftreten, ob sie sich entzünden oder eitrig werden, daran entscheidet sich, ob man bloß mit „normalen“ Schmerzen zu kämpfen hat, oder ob diese sogar zur Aufgabe zwingen können.

Ein weiterer Risikofaktor ist, wie man unter den extremen Bedingungen die mitgebrachte Nahrung verträgt. Hitze, Anstrengung und vielleicht auch das landeseigene Wasser aus der ersten Hotelübernachtung bei der Anreise können nämlich sehr leicht zu Durchfall und Brechreiz führen. Geschätzt ein Drittel der Teilnehmer bleibt davon nicht verschont. Ganz arg hat es unseren österreichischen Zeltkollegen Günter (Zemsauer) erwischt, der vom ersten Tag an keinen Bissen mehr bei sich behalten konnte. Es ist fast unvorstellbar, und ihm gar nicht hoch genug anzurechnen, dass er unter diesen Umständen das Rennen dennoch beenden konnte. Das entspricht einer mentalen Höchstleistung! Auch Josef aus unserem Team Austria hat es für 2 Tage erwischt.

Die erste Etappe war mit 37,2 km angesetzt. Vom Start weg ging es für mich ziemlich zäh weg. Ich fand irgendwie keinen Rhythmus. Herbert, Wolfgang und Josef waren bereits vorne davongeeilt. Langsam aber doch fand ich mit der Zeit meinen Takt. Beim ersten Checkpoint, nach ca. 11 km konnte ich auf Wolfgang und Josef aufschließen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Wolfgang bereits seine ersten Blasen an den Fußsohlen (eine ganz ungünstige Stelle!), die ihm bis zu Schluss des Rennens das (Lauf-) Leben ganz schön schwer machen sollten. Ungefähr nach 29-30 km erreicht ich auch Herbert, was für mich doch sehr überraschte, da er aus unserem Team eindeutig der stärkste Läufer war. Herbert wurde zu diesem Zeitpunkt allerdings von starken Krämpfen geplagt, konnte sich aber tapfer bis zum Ziel durchkämpfen. Ich erreichte als erster vom Team Austria das Etappenziel, und für mich völlig überraschend auf dem 54. Platz. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, mindestens eine Etappe unter den ersten 100 zu beenden (das war mir nämlich 2009 bei der langen Etappe als 99. schon einmal gelungen).

Die zweite Etappe schien mit „nur“ 30,7 km leichter zu sein. Das sollte aber täuschen, da wir drei lange und zeitweise sehr steile Bergpassagen zu bewältigen hatten. Hier bemerkte ich zu meinem Schrecken auch, dass ich immer mehr Sand in meine Schuhe bekam. Ein prüfender Blick auf meine Gamaschen zeigte aber, dass diese in Ordnung waren. Erst im Ziel sollte ich bemerken, dass sich die Sohlen meiner Laufschuhe an mehreren Stellen zu lösen begannen und bereits einige zentimeterlange Löcher aufwiesen. Das sollte sich leider bis zum Ende des Rennens nicht allzu gut auf meine Blasen auswirken, da der Sand immer wieder durch die Socken und Pflaster auch direkt auf die inzwischen offenen Blasen-Wunden vordrang. An einigen Stellen bildeten sich leider auch so manche eitrige Stellen – sodass dadurch meine Schmerzresistenz noch mehrfach auf die Probe gestellt werden sollte. Am Ende der Etappe erwartete uns noch ein unangenehmes Dünenfeld. Hier hatte ich auch mit Krämpfen zu kämpfen, sodass ich anfangs glaubte, die Dünenanstiege überhaupt nicht rauf zu kommen. Gott sei Dank bekam ich das aber relativ rasch wieder in den Griff, und ich konnte die Etappe auf Rang 52 beenden. Herbert hatte sich vollständig vom Vortag erholt und schwang sich ab dem zweiten Tag zu seiner erwarteten Stärke auf. Ihm sollte bis zum Schluss im Stil einer unverwüstlichen Lokomotive der „Lauf seines Lebens“ gelingen. Er konnte sich von Etappe zu Etappe im Gesamtergebnis stetig verbessern und beendete das Rennen auf dem sensationellen 32. Gesamtrang.

Inzwischen war es von Tag zu Tag heißer geworden. Bei der dritten Etappe (38km) wurden bereits Temperaturen von 53°C gemessen. Nur durch die geringe Luftfeuchtigkeit von ca. 15 Prozent war das überhaupt zu ertragen. Man musste mit den Wasserrationen ziemlich genau Haus halten und an den Check-Points genau abwägen, ob man das Wasser zum Trinken oder zum Kühlen verwenden sollte. Wieder erreichte ich einen 52. Platz und lag zu diesem Zeitpunkt am 42. Gesamtrang. Meine persönliche Wahrnehmung sagte mir zwar, dass ich da mit meinem persönlichen Leistungsniveau eigentlich gar nicht hingehörte, es war aber trotzdem ein sehr gutes Gefühl. Dieser Zwischenrang hat deswegen auch eine Bedeutung, da bei der folgenden langen Etappe (knapp 76 km) am nächsten Tag die ersten 50 in der Gesamtwertung drei Stunden nach dem Hauptfeld zu Mittag starten. Mir war ganz mulmig bei dem Gedanken, mitten in diesem Feld, welches zu einem Großteil aus Profiläufern bestand, starten zu müssen. Was, wenn alle mit einem für mich viel zu schnellen Tempo starten und ich dann Mutter-Seelen alleine in der Wüste zurück bleibe und dann am Ende auch den richtigen Weg nicht mehr finde? Allerdings hatte zu diesem Zeitpunkt auch Herbert (der lag nach drei Etappen auf dem 48. Gesamtrang) ebenfalls die „Qualifikation“ zur Elitegruppe geschafft. So beschlossen wir, zumindest den ersten Teil zusammen zu bleiben. Neben der enormen Mittagshitze beim Start, erschwerte auch noch die Tatsache, dass vor uns fast 1000 Läufer die sandigen Passagen passieren und somit ein ziemlich aufgewühlter „Sandhaufen“ entstehen würde. Da ist es extrem schwer zu laufen. Zu diesem Zeitpunkt lag das Team Austria auf dem hervorragenden 7. Gesamtrang.

Die lange Etappe: Bis zum ersten Checkpoint konnte ich das Tempo von Herbert halten, dann sagte mir aber meine Vernunft, dass ich ihn ziehen lassen und meinen eigenen Rhythmus finden müsse. Bis Km 25 lief es dann sehr gut. Es war zwar grenzwertig heiß, aber ich hatte trotz schmerzender Blasen einen halbwegs runden Laufschritt gefunden. Und dann passierte es! Bei einer der steileren Passagen stolperte ich über einen Stein und konnte einen Sturz gerade noch vermeiden. Dazu musste ich aber einen langen, leider zu langen, Ausfallschritt machen. Ein stechender Schmerz durchzuckte mich von der linken Kniekehle bis zum Gesäß. Ich konnte kaum noch auftreten, das Bein nicht mehr durchstrecken und fast nicht mehr belasten. Und es lagen in diesem Augenblick noch über 50 km vor mir! Mehr schlecht als recht humpelte ich mühsam weiter. Ich nahm eine Pakemed-Tablette in der Hoffnung, den Schmerz ein wenig lindern zu können (ich hatte ursprünglich auch noch Voltaren-Tabletten dabei, die hatte ich aber am Vortag einem Kollegen mit Knieproblemen gegeben). Ich weiß nicht mehr genau wie, aber irgendwie habe ich mich weitergekämpft. Ca. jede Stunde einmal (insbesondere als es dann dunkel geworden war) stolperte ich in irgendein Loch oder übersah einen Stein, sodass jedes Mal der Schmerz von neuem und unvermindert wieder einfuhr. Völlig entkräftet und mit allerlei Zusatz-Wehwehchen (wegen des unrunden Laufstils schmerzten nun auch Knie und Sprunggelenk) erreichte ich nach 10h53min als 72 das Etappenziel. Herbert war als 51. seit ca. eine halben Stunde im Zelt. Auch Wolfgang war ein sehr starkes Rennen gelaufen (11h24min und Platz 101). Er musste sich auf der Strecke zwei Mal von den Sanitätern wegen seiner Blasen verarzten lassen und hat dadurch sicherlich eine gute halbe Stunde verloren. Auch Willi lieferte mit 11h49min und Rang 132 ein Top-Ergebnis ab. Das alles trug dazu bei, dass sich das Team Austria um zwei Plätze auf den fünften Gesamtrang vorschieben konnte.

Das Zeitlimit für die lange Etappe betrug 36 Stunden, sodass auch die Geher eine Chance hatten, das Ziel zu erreichen. Wer also die Etappe in einem Stück absolvierte, konnte den nächsten Tag zum Regenerieren nutzen. Und den brauchte ich auch, um meine Wunden zu lecken. Es war nämlich alles andere als gewiss, ob ich am nächsten Tag zur letzten Wertungsetappe über 42,2 (klassische Marathondistanz) mit meinem verletzten Oberschenkel überhaupt starten könnte.

Letzter Wettkampftag: Es ging dann doch irgendwie. Die ersten Lauf-Schritte über die Startlinie taten bereits weh: Schmerzen im Oberschenkel und an den Füßen (Blasen). Die 42 km waren dann so richtig hart (siehe Anfang des Berichts). Irgendwie habe ich es dann doch, mehr humpelnd als laufend ins Ziel geschafft.

Jetzt, mit etwas zeitlichem Abstand, kann ich nun doch auch so etwas wie Stolz empfingen, dass ich die letzten 100 km trotz Verletzungs-Handicape einigermaßen durchgehalten und mich nicht durch den Schmerz zur Aufgabe verleiten habe lassen. Letztendlich hat es zum 55. Gesamtrang gereicht (Gesamtzeit 28h25min) und das Team Austria konnte den 5. Platz behaupten.

Zur Ergebnisliste des Team Austria

Ein paar weitere Impressionen gibt's hier.

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2013 - Marathon des Sables , Bilder Josef 100.JPG3.3 MB
2013 - Marathon des Sables , Bilder Josef 087.JPG3.31 MB
Final_P4120229.JPG1.05 MB