Die unterschätzte Stadt!

Ich kenne viele Städte Norditaliens, Brescia nicht. Ein guter Grund hinzufahren, wie ich meine. Die Bilder die über diese Stadt im Internet zu finden sind machen neugierig. Freitag früh starten Evi und ich. Die Gesichtskontrolle bei der Einreise nach D am Walserberg kostet uns nur 5min, ein Tankstopp in Tirol, sonst stoppen wir nur an den Mautstellen (€ 9 + € 15,30 + € 2,40). Nach 6 Stunden sind wir in Brescia, unser Hotel Vittoria liegt in der Via X Giornata in der Innenstadt. Der Straßenname erinnert an einen Aufstand gegen die Mitte das 18. Jahrhunderts hier herrschenden Österreicher, der 10 Tage lang dauerte und niedergeschlagen worden ist.

Beeindruckend, was diese Stadt – so groß wie Linz – an Sehenswürdigkeiten hergibt. Ein alter und ein neuer Dom, weitere Kirchen zuhauf in den unterschiedlichsten Baustilen. Sehenswert sind sie alle, vor allem von innen. Zum Castello rauf ist es richtig steil, als Marathonvorbereitung ist so eine Bergwanderung nicht gerade günstig. Aber darum habe ich mich noch nie gekümmert, ich will was sehen wenn ich wo bin.

Evi begleitet mich am Samstag zur Startnummernabholung auf der Piazza del Mercato.

Wir fragen nach einem Streckenplan und ernten Unverständnis. Ungefähr so: die Strecke ist ja eh markiert, wozu ein Plan? Ich werde schon sehen wo ich zu laufen habe. Und dass meine Begleitung mich unterwegs sehen will? Die Strecke verläuft in der Stadt, kreuz und quer. Kann man nicht verfehlen, heißt es. Tatsächlich finden wir

Richtungspfeile auf Verkehrsschilder geklebt, die sind aber für den Halbmarathon und den „family walk“.

Kurzum, keinerlei brauchbaren Angaben über Streckenverlauf und Höhenmeter bei der Startnummernausgabe. Nur dass mindestens alle 5km eine Labestelle sein wird, das ist fix. Im Starterpaket sind neben Spezialitäten wie Parmesan ein Lauf-T-Shirt und Laufsocken enthalten. Dazu ein U-Bahn-Ticket für die 4 Stationen zum Start in der Viale Europa am nördlichen Stadtrand.

Wie üblich schlafe ich die Nacht vor dem Marathon äußerst schlecht. Um 6h früh eine Semmel am Zimmer, um 7h gibt es das Hotelfrühstück, ich halte mich zurück.

Es hat vielleicht 12°C und ist bewölkt, als Evi mich zur U-Bahn bringt. Eine Linie gibt es, sehr übersichtlich also. Als die Bahn kommt ist sie schon bestens ausgelastet. Aber ein bisserl was geht immer. So stopfen sich noch ein paar Leute rein.

45min vor dem Start bin ich im Startbereich, ein paar schwarze Gazellen sind auch da. Etwa 3.500 Leute sollen an den Start gehen, knapp 900 beim Marathon. Was ich sehe: keinerlei Toiletten, Null. (Angeblich gab es doch welche, sogar recht viele, und die gut versteckt.)

Das in bewohntem Gebiet rundum und an einem ebenen Supermarktparkplatz, ganz ohne Plakatwände. Beim Supermarkt gibt es 10m lange Hecke, da ist vielleicht was los! Ich schreite die LKW-Auflieger ab um rauszufinden, wo ich meinen Kleidersack Nr. 969 abgeben kann. Der eine nimmt Beutel bis 800, der nächste erst ab 1000, hmm. Ganz vorne steht noch ein Kastenwagen, da bin ich richtig.

Eine alte Jacke behalte ich bis zum Start an, die wird heute geopfert. Die Startaufstellung geht über 4 Spuren. Ohne hörbares Startsignal setzen wir uns in Bewegung. Ich platziere mich bei den 4h15- Schrittmachern, einer läuft als Indianer verkleidet mit großem Federschmuck, alle Zugläufer haben Ballons an ihren Shirts befestigt.

Nach geschätzt 2min überquere ich die Startlinie. Ein paar 100m geht es gerade aus Richtung Innenstadt, dann an einem Kreisverkehr fast ein U-Turn stadtauswärts. Gleich wird es viel enger, erst 2 Spuren, dann gar nur mehr eine.

Es staut. Ein 10km-Läufer liegt auf der Straße, Herzstillstand. Zu seinem großen Glück ist unter den vielen Startern die sich um ihn kümmern ein Kardiologe. Der rettet ihm das Leben.

Eng geht es auf der Via Antonio Schirardi weiter, km1. Dann Sirenen von hinten, ein Polizeimotorrad in hohem Tempo, gefolgt von einem Rettungswagen. Wir drücken uns an die Häuserwände und machen Platz. Meine 4h15-Ballons sehe ich nun weit vorne.

Nach km2 laufen wir links, rechts, an einem Supermarkt vorbei. Davor ein paar Dutzend

Line-Dancer mit Cowboyhut zeigen, was sie gelernt haben. Es geht an einem Stadion vorbei und weiter stadtauswärts, dann an Feldern entlang, rosafarben blühende Mandelbäume stehen da in Reih’ und Glied.

Km 5, die erste Labestelle und es geht bergab. Die letzten km gingen vor allem bergauf, nahezu unmerklich. Jetzt mit leichtem Gefälle merkt man den Unterschied. Ich nehme etwas Wasser, dabei überholt mich eine Gruppe Läufer die eine behinderte Person im Rollstuhl mitziehen bzw. schieben. Das machen sei gerne bei Marathons in Italien. Dumm nur, dass die den ganzen Weg blockieren weil sie in einer Traube laufen.

Leichtes Gefälle an einem Mühlbach entlang, das Mühlrad dreht sich nicht mehr.

Hier sind einmal einige Anwohner die uns anfeuern. Vor allem der Rolli wird bejubelt.

Kurz vor km7 laufen die 10km-Läufer stadteinwärts, wir anderen biegen rechts ab, es geht über den Fluss Mella nach Westen, wieder an Gärten vorbei. Als bei km10 ein kurzer aber zackiger Anstieg kommt kann ich den Rolli überholen, ein Linksknick, es geht noch einmal rauf und dann rechts für 200m auf einem Radweg steil runter. Wir laufen entlang der Via Torricella di Sopra.

Mittlerweile fühle ich mich viel kräftiger als auf den ersten km. Es geht eben weiter, ich kann Platz um Platz gut machen. In Fantasina (km11) geht es links in die Via dei Prati, ich bin seit 64min unterwegs. Wieder links, es geht nun Richtung Brescia, und ich sehe wieder die 4h15-Ballons vor mir. Diesen komme ich am Weg nach Badia langsam näher, Felder und Gewerbegebiete beiderseits der Straße. Bei km15 bin ich dran, besonders schick zu unserer linken in der Via Cucca die Villa Badia, die sieht nach Geld aus.

Ein paar Musikgruppen stehen im Verlauf des Rennens an der Strecke. Vorhin war Nirvanas „Come as you are“ zu hören, dann „Rock ‚n’ Roll“ von Led Zeppelin – habe ich seit den 70ern auf Single - nun bei km16,5 „Radio GaGa“ von Queen. In bewohntem Gebiet stehen wieder Zuseher an der Strecke, vorzugsweise in der Nähe der Musik.

Labestelle bei km19, nun gibt es mehr als nur Wasser. Kekse, Kuchen, Würfelzucker, und Iso. Unter anderem gibt es die besten Orangen die mir je bei einem Marathon angeboten worden sind.

Km19, die nächste Trennung steht bevor, die Halbmarathonis biegen links ab, wir nach rechts und müssen gleich unter der Eisenbahn durch. Es geht schnurgerade die Via Dalmazia direkt nach Süden, Tankstellen und Firmengebäude, etwas öde, Stadtrand eben.

Nach 2h03:49 bin ich beim Halbmarathon. Eigentlich müsste ich deutlich vor den 4h15ern sein, tatsächlich sind die auf und davon.

Km22 an der Tangenziale Sud und der A4, wir laufen unter den Auffahrtsrampen durch. Viel Streckenpersonal wird benötigt, um uns den Weg zu weisen. Es klappt wunderbar.

Stellenweise weht richtig kühler Wind, da aber oft die Laufrichtung wechselt ist das kein Problem.

Wir laufen an den 3 Glastürmen vorbei, die Evi und ich am Vortag vom Castello aus sehen konnten. Weiter nach Osten, km25, eine Straße ist gesäumt von blühenden Bäumen. Diese Blüten sind für mich zum Glück nicht Atem beraubend. Ein Italiener spricht mich an, er lebt in Südtirol. Der Linz-Marathon würde ihn interessieren, Brescia läuft er heute zum 5. Mal.

Ab km26 wird es wieder recht verwinkelt, an einem Bach entlang, hinter einer Firma vorbei, an Feldern entlang. Die Strecke ist landschaftlich nicht wirklich herausragend, Stadtmarathon ist das keiner. Egal, die Stimmung ist gut, die Strecke weitgehend flach. Bei km30 bin ich seit 182min unterwegs. Ein verzweifelter Autofahrer will den Straßensperren entkommen, er kommt uns auf einem besseren Wanderweg entgegen, fährt dabei aber recht rücksichtsvoll langsam.

Bei km32 bin ich seit 3h15 unterwegs. Ich darf noch 75min brauchen um unter 4h30 ins Ziel zu kommen. Das sollte ich schaffen.

Hier heraußen in Sant’ Eufemia endet die U-Bahn, ein Neubaugebiet. In der Via Agostino Chiappa ist es noch ländlich, beim Kreisverkehr ist Schluss damit. Eine Spitzkehre, für uns ist ein 2m-Streifen von der Via Serenissima abgetrennt die uns in einem lang gezogenen Anstieg über die Eisenbahntrasse führt.

Bei km33 gibt ein Pärchen auf, Grund kann ich keinen erkennen, es sehen beide noch recht frisch aus.

Waren es bei km21,1 noch 878 LäuferInnen die die Zwischenzeit auslösten, werden nur 835 Marathonis ins Ziel kommen. Dabei könnte das Wetter für einen Langstreckenlauf kaum besser sein, angenehm kühl, maximal 15 Grad. Ich laufe kurz/kurz, nur ab und zu weht der Wind. Kaum einmal kommt die Sonne durch, daher ist es auch nie zu warm.

In einem weiten Halbkreis geht es runter auf die Viale Sant’ Eufemia. Kurz Richtung Gardasee, dann führt uns eine schmale Straße zwischen den Felder durch. Eine mittelalterliche Italienerin kratzt ihre Deutschkenntnisse zusammen:

„Du bist super!“ Ich bin etwas überrascht: „Danke, du auch.“ Wir sind im östlichsten Streckenteil, haben noch 8km vor uns und laufen auf die Berge zu.

In Caionvico ein kurzer Anstieg, dann der entscheidende Knick nach Westen. Auf schön

verlegtem Straßenpflaster laufen wir nun die Via Sant’ Orsola runter, zwischen den Häusern. Erinnert mich etwas an eine Ortschaft in der Wachau. Nicht die Donauseite, sondern die 2. Reihe.

Die Richtung stimmt, um die Muskeln zu entspannen, lege ich kurze Gehpausen ein, dennoch kann ich Leute überholen. Kurz kommt die Sonne raus, der Campanile der Kirche San Giacinto leuchtet beinahe. Die Bäume gegenüber blühen. Giorgio, den ich bei km 14 überholt habe, taucht nun von hinten auf. So wie der aussieht ist er nicht meine Altersklasse.

Weiter die Via Indipendenza, bei km37 dann das Museo Mille Miglia, untergebracht im ehemaligen Sant’ Eufemia-Kloster. Die Mille Miglia war ein Straßenrennen mit Start und Ziel in Brescia, Wendepunkt war Rom. Seit 1927 wurde es ausgetragen. Nach einem Unfall 1957 bei dem 10 Menschen den Tod fanden wurde dieses legendäre Autorennen verboten. Seit 1977 findet nun im Mai die „Mille Miglia Storica“ statt, mit historischen Fahrzeugen die damals bereits startberechtigt waren. Es wird auf der Originalstrecke gefahren, aber nicht mehr im Renntempo, dazu wären die teuer restaurierten Oldtimer vielleicht auch zu schade.

Mitten im Kreisverkehr vor dem Museo steht ein grosses silbernes Modell vom Bugatti B35. Beim Elsässischen Weinbergmarathon war ein Originalfahrzeug ausgestellt, natürlich in blau.

Noch eine Musikgruppe bei km38, die hat aber gerade Pause. Ein Zuseher will mit mir abklatschen. Es geht die Viale Venezia rauf, auch dieser Anstieg ist nicht steil, aber lange.

Gegen Ende eines Marathons wünscht man sich so etwas am allerwenigsten. Zum

“Centro“ geradeaus, zeigt ein Pfeil, dort ist das Ziel. Bäume beiderseits der Straße, rechts dahinter ein Park.

Eine letzte Labestelle bei km40 an der Piazzale Arnaldo. Arnold von Brescia (1090 – 1155) war ein italienischer Prediger. Auf einem Podest steht seine Statue. Er predigte, auch die Priester wie die Mönche sollten besitzlos bleiben und auf Macht verzichten. Er wurde 1155 hingerichtet.

Die Strecke führt uns in eine Gasse, Via Trieste, nun sind wir in der Altstadt. Wir kommen an einem Platz vorbei der aussieht, als wäre er fürs Bocciaspielen angelegt worden. Bäume und dazwischen sandiger aber fester Boden. Leichter Anstieg in eine ZTL = verkehrsberuhigte Zone. Links rauf die Via dei Musei, ich komme ich am römischen kapitolinischem Tempel vorbei, unter Kaiser Vespasian anno 74 fertig gestellt. Im 5. Jahrhundert zerstört, 1823 wurden die Überreste wiederentdeckt. Gegenüber das Museo Santa Giulia. Da war ich gestern mit Evi, ab hier kenne ich mich aus, es muss bald bergab gehen. Tut es auch bei km41.

Links runter durch den Hof der Landesregierung der Provinz Brescia, raus auf den Platz Papst Paul VI. (Piazza Paolo VI), erst am neuen, dann am kreisrunden alten Dom (=Rotonda) vorbei. Hunderte Kinder sind da auf Ausflug, für uns Läufer ist eine Strecke markiert. Rechts sind die Gastgärten der Lokale gut besucht, Heizschwammerl machen es möglich. Durch einen Torbogen raus auf die Via Mazzini, die rechts runter und gleich rechts in den Corso Giuseppe Zanardelli. Dabei komme ich am Teatro Grande vorbei, das von außen sehr bescheiden aussieht, innen aber voller Pracht ist. Alleine deswegen würde sich die Reise nach Brescia schon lohnen. (www.teatrogrande.it)

Würde ich mich in der Innenstadt nicht schon auskennen, hätte ich nun ein Problem. Zwei Männer stehen teilnahmslos rum und plaudern, als Wegweiser sind sie nicht zu erkennen. Sie weisen auch nicht den Weg, sie stehen einfach da. Nun haben die gestern Abend vor unserem Hotel die Gitter aufgebaut und heute früh aufblasbare Bögen installiert, ich muss Richtung Hotel Vittoria laufen. Jetzt noch die Via X Giornate rauf. Vorher nervt mich ein Radfahrer, der einen Mitläufer ständig vom Rad herab knipst, und mir unkontrolliert vor der Nase rumeiert, hat er doch nur eine Hand am Lenker. Ich kann den Läufer und damit den Radfahrer überholen da sehe ich Evi, 200m vor dem Ziel. Gleich habe ich es.

Noch ein gelber Bogen von „Grana Padano“ und ich bin auf der Piazza della Loggia. Hinter mir die astronomische Uhr, vor mir der Palazzo. Nach 4:23:52 bin ich im Ziel und recht zufrieden damit. Als Nichtitaliener ist man hier Exote. Kaum im Ziel werde ich zum Interview gebeten. Das dauert aber nicht lange, ich bekomme meine Erinnerungs-medaille, dann kann mich Evi in Empfang nehmen.

Ich will bald zur nahen Piazza del Mercato, denn da wartet ein trockener Pullover auf mich. Dort ist auch die Ziellabe. Ein grosser Laib Parmesankäse wird da ausgeschabt. Tut gut so ein würziger Käse nach dem ganzen süßen Zeug unterwegs. Dieser Käse macht sich auch gut zu dem warmen Tee.

Von der Bühne runter werden die Namen der Altersklassen-Sieger vorgelesen. Darunter Judith Strack aus München, die einmal mehr aufs AK-Stockerl gelaufen ist. Mit ihrem Andreas hat sie in letzter Zeit einige Marathons absolviert die ich auch gemacht habe.

Zum Hotel sind es nur ein paar Schritte. Hinterher im eigenen Hotelzimmer duschen zu können, das hat schon seine Qualitäten. Und dann eine halbe Stunde die Beine hoch lagern, damit man wieder fit ist fürs Sightseeing. Schließlich will ich was sehen, die Stadt hat viel zu bieten.

 

Sollten wir wieder nach Brescia kommen, werden wir es abends erneut in der Osteria San Francesco versuchen, unmittelbar hinter der gleichnamigen Kirche. Hoffentlich gibt es dieses Gasthaus dann noch mit dieser Besetzung.

Das Essen ist ganz ausgezeichnet!

Ein Preisbeispiel vom Wein: eine Flasche des süffigen Hausweins vom Gardasee, egal ob rot oder weiß, kostet derzeit € 5,-. Die Flasche, nicht ein Glas!

0835 Finisher Marathon

1724 Halbmarathonis

0784 10km-LäuferInnen

Weiters ungezählte Teilnehmer am family-walk: Familien mit Kinderwägen und Hunden

 

Marathonsieger:

KERIO REUBEN KEN 2:09:05 

KICHWEN EMMANUEL KEN 2:10:15 

KIPCHOM EDWIN KEN 2:12:52 

 

Die Siegerinnen:

GELAN ABEBU ETH 2:37:31 

BACCANELLI MONICA ITA 3:04:09 

GOTTI LAURA ITA 3:06:50