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24-Stunden Benefizlauf Wörschach 2009

Samstag 11. Juli 2009. Ein strahlend schöner Sommertag liegt über Wörschach (Steiermark). In den beiden folgenden Tagen findet zum 20. Mal und gleichzeitig auch zum letzten Mal der 24-Stundenlauf statt. Der 2,3 km Rundkurs ist fast vollständig von den Zelten der Teilnehmer und deren Begleiter gesäumt. Es gibt ein paar leichte Steigungen auf der Strecke. Diese erscheinen bei der Besichtigung lächerlich flach, werden sich aber im Verlauf des Rennes als immer steiler und anstrengender erweisen.


Ich versuche mein Glück als Einzelläufer. Meine bisherigen längsten Läufe gingen über ca. 10 Stunden (100 km von Biel, 2008) oder 14 Stunden (91-km Etappe beim Marathon des Sables, 2009). Beide für sich waren bereits grenzwertig. Jetzt sollen also beide Läufe hintereinander absolviert werden. Für mich zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar! Mein längster Trainingslauf in der Vorbereitung, vor ca. 4 Wochen, war (nur) über 6 Stunden gegangen. Damals habe ich entnervt und erschöpft aufgehört. Mein heuriger läuferische Jahreshöhepunkt, der Marathon des Sables, ist auch erst gute 3 Monate her. Seither laboriere ich noch immer an leichten Schmerzen im linken Knie (als Folge der Überlastung beim Laufen durch die Wüste). Aus gesundheitlichen Überlegungen ist nach einer so kurzen Erholungszeit ein weiterer Ultralauf nicht sehr vernünftig. Aber heuer es ist eben die letzte Gelegenheit für die 24 Stunden in Wörschach!


Ich werde von meiner Frau Sonja betreut. Sie ist für das Essen und die Ausrüstung zuständig. Zusätzlich kümmern sich auch das „High-Voltage-Running-Team” (Fa. Trench) um mich - das sind Linzer Freunde, die in einer Megastaffel, bestehend aus 12 Teilnehmern, antreten.
Um 14:00 (Samstag 11.7.2009) geht’s endlich los. Die Stimmung ist großartig. Mit allen Einzel- und Staffelläufern sind fast 400 Läufer gleichzeitig auf der Strecke. Damit wird die Veranstaltung zwar an ihre logistische Grenze gebracht. Obwohl es zeitweise durchaus eng wird, stellt das aber kein wirkliches Problem dar.


Ich lasse mich von der energiegeladenen Stimmung mitreisen. Viel zu euphorisch beginne ich das Rennen. Viel zu schnell für die gesamte Distanz (obwohl es mir in der Anfangsphase gar nicht so vorkommt. Eine vernünftige Geschwindigkeit lässt sich nur sehr schwer einschätzen). Der klassische Anfängerfehler. Ich ärgere mich über meine eigene Dummheit. Zu dieser Zeit liege ich am sechsten Zwischenrang, von 280 Teilnehmern. Wow! Ich bin zwar ein ambitionierter Hobbyläufer, für den natürlich auch die Zeit und Platzierung zählt. Meine klare Grenze sind aber in der Regel die ersten 15 - 20 Prozent im Starterfeld, d. h. irgendwo zwischen 40. und 50. Stelle. Es ist daher völlig klar, dass dieses Tempo für mich in die klare Katastrophe führen muss. Der Kopf weiß das genau! Trotzdem fühlt sich der Bauch (oder auch das Herz?) eben diesem 6. Platz irgendwie verpflichtet. Eine teuflische Verführung.
Um 18:30, nach den ersten 4,5 Stunden mache ich meine geplante Essenspause. Die warme Suppe ist vorbereitet. Ich setze mich auf einen Camping-Sessel, esse und scherze. Ich bin guter Dinge. Keine Probleme - das glaube ich zumindest. Nach ca. 10 Minuten mache ich mich wieder auf den Weg. Doch es ist nicht mehr wie vor der Pause. Plötzlich schmerzt mein linkes Knie. Und es wird von Runde zu Runde schlimmer. Um 20:00 lasse ich mich massieren. Außer einer halben Stunde Zeitverlust bringt das aber nicht viel. Noch bin ich bereit, mich durchzukämpfen. Der Wille ist noch stark genug, um die Schmerzen in den Schranken zu halten. Aber die Euphorie ist längst dem Kampf gewichen.


Langsam rückt Mitternacht näher. Ich laufe nun bereits seit zirka zehn Stunden, vierzehn endlose Stunden liegen noch vor mir. Der Schmerz ist nun richtig stechend, bei jedem Schritt, sodass auch kein runder Laufrhythmus mehr möglich ist. Krämpfe in den Waden und Probleme in der Hüfte haben sich als Folgeerscheinungen bereits eingestellt. Gegen Mitternacht fällt für mich die Entscheidung: Aus, Ende, Schluss, vorbei. Wenn ich das nächste Mal bei unserem Zeltplatz vorbeikomme, dann werde ich einfach aufhören. Es hat ja sowieso keinen Sinn mehr. Dann lege ich mich auf den Rücken und rühre mich keinen Millimeter mehr. Einfach liegen und nur nicht mehr laufen zu müssen. Ein Gedanke, der zu diesem Zeitpunkt nicht verlockender sein kann.
24:00: Ich liege jetzt also im Zelt. Ziemlich gleichzeitig wird auch das Mitternachts-Feuerwerk von der nahen, auf einem Berghang gelegenen, Burg gestartet. Ich schaue gar nicht hinaus. Mit jedem Donnerschlag bricht auch ein kleiner Teil meiner Welt zusammen. Ich bin frustriert und erschöpft. Ich bin gleichzeitig wütend auf mich und bemitleide mich selber. Das ist keine gute Mischung und führt nur dazu, dass der innere Schweinehund so richtig Oberhand bekommt und nach Belieben das Kommando übernehmen kann.


Ich schlafe schnell ein, wache aber in kurzen Abständen immer wieder auf. Jede Stunde schaue ich auf die Uhr, und drehe mich dann trotzig auf die andere Seite. Ich versuche weiter zu schlafen. Ich fühle mich schrecklich elend, bin aber Außerstande irgendeine Aktion zu setzen. Inzwischen ist es 3 Uhr früh geworden. Aber immer noch ist der innere Schweinehund zu stark. Gegen 4 Uhr habe ich plötzlich das Gefühl, dass sich die geistigen Fesseln (die mich so trotzig im Zelt halten) etwas gelockert haben. Irgendwie habe ich nun auch die Kraft, vor das Zelt zu treten und auf die Laufstrecke zu schauen. Es ist dunkel und kalt. Nur vereinzelt sieht man Gestalten, die sich mühsam aber stetig dahinzuschleppen scheinen. Es sieht alles sehr trostlos aber gleichzeitig auch friedlich aus.


Jetzt will ich es plötzlich noch einmal wissen! Und wenn es mir auch nur die endgültige Bestätigung bringen sollte, dass es eben nicht mehr geht. Verstohlen und mit gehörig schlechtem Gewissen schleiche ich an den Zelten vorbei, zurück auf die Laufstrecke. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich keine richtige Berechtigung habe um weiterzulaufen. Trotzdem trabe ich ganz langsam los. Alles sieht jetzt irgendwie verändert aus. So bringe ich die erste Runde ohne große Euphorie hinter mich. Auf der zweiten Runde spüre ich bereits wieder mein Knie. Also doch das endgültige Ende. Das sollte also das erste Mal sein, dass ich ein Rennen nicht beenden kann.
Eigenartiger weise hänge ich aber noch eine dritte Runde dran - weil’s ja eh egal ist. Und dann noch eine vierte …


Und dann passiert das, was man nur bei den Ultra-Läufen so wunderbar erleben kann. Plötzlich kommt die Geduld zurück und mit der Geduld die Gewissheit, dass man aus dem Tal wieder heraus kommt kann. Man muss es nur erwarten können. Wieder einmal wird mir klar: Ultra-Lauf ist Charaktersache, und die Entscheidungen fallen in der Krise - und dann im Kopf! Mit der Morgendämmerung kommt dann wirklich auch die Kraft zurück. Langsam und trotzdem unerwartet. Man kann es sich nicht erklären, warum es auf einmal wieder leichter wies, da der Ofen ja schon aus war. Man darf es aber demütig zur Kenntnis nehmen und dankbar sein.
Die nächsten Stunden (bis ca. 11:00 vormittags) entschädigen für die vorangegangenen Mühen. Die Schmerzen im Knie sind (fast) weg und durch meine nächtliche Zwangspause bin ich nun wesentlich frischer als die meisten anderen Einzelläufer. Auf der Strecke kann ich immer wieder Läufer überholen. Viele Teilnehmer gehen inzwischen, während ich noch laufen kann. Das gibt natürlich zusätzliche Kraft und Motivation.


Diese Euphorie hält bis kurz vor die Mittagszeit. Dann spürt man ganz deutlich die eigene Kraft schwinden. Aber im Gegensatz zur vergangenen Nacht ist nun klar, dass man das Rennen beenden wird. Komme was da wolle! Ich habe meinen Laufrhythmus inzwischen auch auf ein Traben im flachen und ein Gehen in den Bergauf-Passagen eingestellt.


Die beiden letzten Stunden ziehen sich dann noch endlos in die Länge. Die Schlussenergie kommt erst in der letzten Runde zurück. Um 13:45 komme ich das letzte Mal an unserem Zelt vorbei. Auf vehementen Wunsch meiner Frau fange ich keine neue Runde mehr an und schenke die letzten 15 Minuten (und damit ca. 2 km) her. Das spielt aber überhaupt keine Rolle mehr. Nach den Höhen und Tiefen der letzten 24 Stunden bin ich jetzt nur mehr erleichtert und glücklich. Fazit: 176 km, 32 Gesamtrang (von 232 durchgekommenen Läufern).
 
Nachtrag 1: Nach einigen Tagen, nachdem die Anstrengungen bereits einigermaßen vergessen waren, hadere ich doch ein wenig wegen der liegengelassenen Zeit. Wenn ich die 4 Stunden einfach durchgegangen wäre, hätte ich vielleicht an den 200 km „kratzen” können. Andererseits: wer weiß, wie es mir ohne (Zwangs-) Pause im zweiten Teil gegangen wäre!
Nachtrag 2: Am 22.7.2009 (also 10 Tage nach dem 24-Stundenlauf) werde ich mir beim Baden etwas im den linken Fuß eintreten. Was anfangs noch harmlos aussieht, wird sich leider als langwierig und mühevoll erweisen: 49 Tage Krankenhaus, 17 Operationen unter Vollnarkose, schwere Antibiotika-Infusionen, 10 kg Gewichtsverlust und die Ungewissheit, vielleicht nie wieder (lange) laufen zu können …