Wichtig ist nur, dass man dabei war

Ehrlich gesagt, ich kann den Spruch schon nicht mehr hören. Unter allen Gemeinplätzen ist der zwischenzeitlich wohl der Abgelutschteste (oder abgefuckteste im Neudeutschen). Selbst der naive Rookie mit der Unschuld des ländlichen Waffenradpiloten wird bei dieser Aussage schmunzeln.

Dass man dabei war, ist eben nicht wichtig. Wichtig ist nur eines. Die Endnettozeit. Um die geht’s doch in Wahrheit und um nichts anderes. Daher ist es angezeigt, rechtzeitig einigermassen glaubwürdige Zeitkorrektive zu entwickeln.

Das beginnt schon in der Vorbereitung. Rechtzeitig beginnt der kluge Athlet, diverse Krankheitsbilder, von ominösen Ebola-Viren, die langsam den rechten Hoden zerfressen und Testosteronsubstitute verlangen, bis hin zu den verschiedensten Zerrungen und Rissen, zu generieren. Selbst der Schließmuskel muss als Gegenstand rekordverhindernder klinischer Bilder herhalten.

Beliebte antizipierte Rechtfertigungen für individuelles Versagen sind auch Trainingsfehler. Am beliebtesten ist das Übertraining, da es einerseits so gut wie nicht nachweisbar ist, andererseits aber heldischen Unfug betreffend der viel zu vielen Trainingsstunden signalisiert. Das kommt immer gut an und wird gerne vor dem Start vorgebracht. Es nimmt die Nervosität und man selbst nimmt dadurch etwas Druck heraus. Die Trainingslehre spricht hier auch gerne vom „Jan Ulrichose“.

Kluge Anwälte empfehlen ihren Athleten daher auch, nicht zu viel in sozialen Netzwerken preiszugeben. Immer nur Temperatur und Stuhlgang posten, eventuell auch Ruhepulswerte über 50. Geeignete elektronische Krankenakten, die facebookfähig sind, wie zB „Polar Loser“ oder „fat man walking“ kann man schon gratis downloaden.

Eine gute Argumentationsbasis bildet auch die eigene Familie. Wer wegen der Kinder oder der weiterbildungs- bzw seminarsüchtigen Ehefrau nicht zum Training gekommen ist, hat die Sympathien auf seiner Seite. Selbst eine Halbmarathonzeit von 2:10 wird in diesem speziellen Fall noch nachgesehen. Geschiedene haben es da schwieriger. Du hast doch e Zeit, lautet der voreilige Vorwurf der Trainingskollegen, der aber nie ausgesprochen wird, sondern nur so laut gedacht, dass es trotzdem wieder alle hören. Wer also geschieden ist oder keine Familie hat, muss auf die Klassiker zurückgreifen. Die da wären also Zerrung, Virus, Übertraining. Die goldenen Drei.

Der eigentliche Stress beginnt aber erst nach dem Wettbewerb. Ja, Sie haben richtig gelesen! Nach dem Bewerb. Im Bewerb nimmt die Nervosität wenige Minuten nach dem Start ab. Der Körper hat gar keine Zeit mehr für einen nervositätsbedingten Puls, der ist jetzt echt!

Was passiert nach dem Rennen. Ist „mann“ froh, dabei gewesen zu sein? Nein, „mann“ will nur wissen, wie langsam die anderen waren. Sonst nichts! Kein Mensch käme zum Beispiel zum Linzmarathon ohne Zeitnehmung. Wie erklärt man sich die abgestürzten Server der Zeitnahmefirmen kurz nach Bewerben? Tausende und Abertausende Athleten wollen sich an der Zeit der anderen ergetzen. Im positiven wie im negativen. Das ist doch der schönste Stress. War der schneller und wenn ja wie viel. Nein gottseidank, 2 min langsamer. Der ist am Limit, wir habens immer schon gewusst. Freude und Schadenfreude sind hier kaum auseinanderzuhalten. Rivalitäten unter Männern eben. Frauen haben das weniger, holen aber konsequent auf. Drum helft keiner mehr, wenn sie mit einem Patschen am Straßenrand steht und mit Rehaugen um Hilfe bittet. Hart bleiben!

Das genaue Studium der Pentek Liste bietet Panik, aber auch Erleichterung. Manchmal sogar ein Gefühl, dass eigentlich die Heiligen Schriften hervorbringen sollten, nämlich Erlösung. Alles, aber auch wirklich alles fällt von einem Athleten ab, der seine Zeit hoffnungsgemäß verbessert hat.

Nachlesungen begleiten die meisten Athleten die nächsten Tage und die Lektüre wird zusehends versöhnlicher, je länger der Bewerb vorbei ist. In einigen Fällen wird die ausgedruckte und sorgfältig geheftete Pentek Liste sogar zum liebgewonnenen Objekt nostalgischer Verklärung. Ja, da war ich dabei vor fünf Jahren. War ein DNF, aber es war so schön. In Pepi is ja a ned gut gegangen erinnert man sich mit Erleichterung. Saukalt das Wasser, die Zerrung im Unterschenkel und …..

Ach ja, ich studier gerade die Pentek Liste vom sonntäglichen Linz Marathon. 1:53. Eine Minute langsamer als voriges Jahr. Ärgerlich, da ich unter 1:50 sein wollte. Wieso eigentlich. Dabei sein sei doch alles?

Ich hab zu viel trainiert. Übertraining, ganz klar. Im Februar und März mehr als doppelt so viele km wie voriges Jahr, dazu die extrem belastenden Waldläufe. Der 3-Stünder am Pichlingersee war sicher auch ein Blödsinn und der schnelle Donaupark 10er sowieso. Wenigsten hab ich heuer neue Fehler gemacht. Und nicht wieder die alten. Wenigstens das.

Ein Posting im Facebook beruhigt mich aber: „Wichtig ist doch, dass du dabei warst“.

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Kommentare

Ein wesentlicher Aspekt wurde nicht erwähnt, der bei vielen Athleten noch verbreiteter ist als das Übertraining - das gefürchtete Untertraining

Das Untertraining wird Gegenstand einer meiner nächsten Analysen sein. Aber auch das Training in Unterhosen. Und untertrainierte Sehnen.