Aus dem Leben eines Pilzeimporteurs

Stefan Matschiner hat ein Buch über Doping geschrieben. Nach seiner Verurteilung hat er über die Medien folgendes kundgetan:

„…Ich bereue nichts, weil ich mir nicht vorwerfen kann, dass ich jemanden gesundheitlich in Gefährdung gebracht hätte", hatte Matschiner in seinem Schlusswort unmittelbar vor der Urteilsverkündung zur Weitergabe der verbotenen Präparate betont. Er habe versucht, "nach bestem Wissen und Gewissen" zu handeln und seinen Sportlern "nur das gegeben, was alle nehmen…“.

 Mittlerweile sei er froh, sich von dieser "Parallelgesellschaft" entfernt zu haben, "…weil mich das ankotzt und ich nicht mehr Teil davon sein will. Ich weine dem keine Träne nach"…, legte er noch ein Schäuferl nach.

Stefan Matschiner hat seine Erinnerungen in einem Buch veröffentlicht. Es heißt „Grenzwertig“ und ich habe es gelesen. Obwohl mir davon abgeraten wurde. Das Buch gäbe es als pdf in Netz und Matschiner wolle nur Geld verdienen. Diese interessante Aussage hat ein Athlet in der Tipps Arena in der Umkleidekabine Nummer 6 in halbentkleidetem Zustand gemacht. Wobei letzteres keine Rolle spielt, die Aussage an sich aber dennoch bemerkenswert ist.

Zum einen deshalb, da sich der Athlet in offenkundiger Entrüstung über das vermeintlich verpönte (lassen wir an dieser Stelle juristische Befunde) Treiben des Ex-Doping-Dealers in ebenso fragwürdiger Weise eine Urheberrechtsverletzung empfiehlt. Zum anderen, weil der Arme darüber hinaus eine legale Verdienstquelle, nämlich das Schreiben eines Buches und den Wunsch, es zu verkaufen, um Geld – legal – zu verdienen, als moralisch bedenkliches Unterfangen dartut.

Damit kommen wir aber zum eigentlichen Problem, das die Dopingfrage mit der Aussage des Athleten in der Umkleidekabine Nummer 6 auf wunderbare Weise verbindet. Es geht um den Konflikt zwischen Gesetz und Unrechtsbewußtsein. Heute mehr denn je. In früheren Zeiten waren normative Anforderungen viel mehr als heute mit moralischen oder sittlichen Werten verknüpft. Heutzutage gebietet eine unüberschaubare Anzahl von Gesetzen oft wenig nachvollziehbares Verhalten der Menschen.

Wie in der Dopingfrage. Und Matschiner bekennt sich auch dazu, daß ihm beim Thema Doping etwas das Unrechtsbewußtsein fehle.

Deshalb liest sich sein Buch auch mehr als Schelmenroman denn als „Aufarbeitung“. Seine Reue beschränkt sich primär darauf, nicht mehr ständig durch halb Europa gaukeln zu wollen. Und hätte es keine Probleme gegeben, würde er es, so lese ich es aus den Zeilen heraus, auch heute noch machen.

Das Buch ist dennoch lesenswert. Es ist eine kurzweilige Unterhaltung, die die atem- und pausenlose Hatz des Dopingberaters Matschiner beschreibt. Sein Einschleusen in die verschiedenen Hotelzimmer seiner Schützlinge, wilde Parties des Frauenlieblings (ganz bestimmt!), Sauftouren in Turin oder skurrile Probleme – oder besser Abenteuer -  mit Hochleistungsgefrierschränken, die nicht in Budapester Wohnungen passen, machen das Buch sicher nicht zu einer Abschreckungswaffe für all diejenigen, die dem Thema mit Augenzwinkern gegenüberstehen.

Jetzt kommen wir zur entscheidenden Frage. Wie soll man dem Thema wirklich gegenüberstehen? Hexenjagd oder Aufklärung? Kontrolle oder Vertrauen? Eingeschränkte Freigabe oder totales Verbot?

Auch ich kann wie Matschiner diverse Gemeinplätze nicht mehr hören. Vom Sport als Spiegel der Gesellschaft, von der Leistungsgesellschaft und so weiter. Man kann das Problem nicht lösen. Man kann es aber verstehen und über das Verständnis zumindest ein wenig (dagegen) steuern.

Zum einen über ein reflektives Unrechtsbewußtsein, das sich nicht in Extremen wie etwa Verdammnis oder Gleichgültigkeit erschöpft. Über ein kritisches Unrechtsbewußtsein, das sich der Mühsal des Denkens unterwirft. Daß in der unreflektierten Weitergabe eines pdf’s eines Buches eine mögliche Verletzung des geistigen Eigentums eines anderen, zum Beispiel des Herrn Matschiner erkannt wird. Und Stefan Matschiner in sich selbst als Teil des Problems entdeckt!

Liest man „Grenzwertig“, so fällt ab der Mitte auf, daß Doping nicht so sehr über Labordiagnostik steuerbar ist, sondern vielmehr im Erkennen des Dopingmanagements als Steuerelement. Über das Erkennen, daß das Dopingmanagements die eigentliche Leistung im Dopingzirkus ist. Der beste Labordiagnostiker wird kein „guter“ Dopingberater, wenn er nicht das Management perfekt beherrscht. Das Was, Wann, Wie und Wo! Und das erschöpft sich nicht darin, Athleten in den Pinkelpausen zu nerven. Das Dopingmanagement sollte zum primären Untersuchungsgegenstand werden, um Doping zu bekämpfen. Dazu ist aber ein differenziertes sportartenspezifisches Verständnis notwendig und setzt einen umfassend gebildeten Dopingfahnder voraus.

Und abschließend sei auch noch ein Tabuthema angesprochen, um dessen Beantwortung wir uns selbst kurzfristig nicht herumdrücken können. Nämlich das Thema der begrenzten Freigabe bestimmter Substanzen. Aus der Geschichte wissen wir, daß oft ein Gesetz selbst die entsprechende Kriminalität schafft, und zwar immer dann, wenn der gesellschaftliche Konsens, der das Gesetz in einer Demokratie ja tragen sollte, nicht oder nicht ausreichend vorhanden ist. Wie beispielsweise das Alkoholverbot im Amerika der 20er- und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Dieses Verbot war nicht im Geringsten von einem gesellschaftlichen Konsens getragen, es wurde in geradezu beispielloser Weise systematisch umgangen. Auf dieser Basis sind Gesetze meist sinnlos. In dieser Zeit sind die Schwarzbrennereien wie Pilze aus dem Boden geschossen und es gab unzählige Vergiftungen aufgrund methylalkoholverunreingter Spirituosen.

Da sich das Thema Doping im Sport noch immer viel zu sehr auf Wundermittel und unappetitliche Blutbeutel beschränkt, auf wundersame Leistungssteigerungen und ein wenig Voodoo, ist es auch an der Zeit, Doping als das zu sehen, was es in 99 Prozent aller Fälle ist: die Unterstützung eines austrainierten Talentes, das Allerletzte herauszuholen bzw die Regenerationszeiten zu verkürzen. Mir ist klar, daß das keine juristische noch ethische Aussage ist, dennoch aber ein wenig Wahrheit in einem mehr mythenumrankten denn rational behandelten Thema. Jedem, der über Doping etwas sagen möchte, muß eines klar sein. Im Spitzensport ist die Grenze zwischen medizinisch notwendiger Betreuung und Doping fließend. Eine bloße Hexenjagd aufgrund von Gesetzen belastet im Endeffekt nur den Steuerzahler, fördert korrupte Labors und hilft nicht, das Thema  Doping zu steuern.